Rückkehr der Meisterpflicht – und dann?
Ist bald Schluss für viele selbstständige Handwerker ohne Meister?
Es ist noch nicht konkret, aber gut möglich, dass in absehbarer Zukunft für viele Handwerksberufe die Rückkehr der Meisterpflicht ansteht. Was wird dann aus selbstständigen Handwerkern ohne Meisterbrief und aus Handwerksbetrieben ohne Meister? Sie haben investiert, Kredite aufgenommen und vielleicht auch Personal eingestellt. Kann man ihnen quasi von einem Tag zum anderen die Berufsausübung untersagen?
2004: Meisterpflicht abgeschafft
2004 wurde für 53 von insgesamt 94 Handwerksberufen die Meisterpflicht abgeschafft. Seither kann man auch ohne Meisterbrief als Fliesenleger, Gebäudereiniger, Raumausstatter, Estrichleger, Parkettleger oder als Rolladen- und Jalousienbauer selbstständig arbeiten.
Für die Meisterpflicht sind seither drei als Anlagen zur Handwerksordnung (HwO, HandwO) gefasste Listen entscheidend:
- in Anlage A stehen Gewerke mit Meisterpflicht (z. B. Maurer, Klempner, Dachdecker und Metallbauer)
- in Anlage B1 die zulassungsfreie Handwerksberufen (wie etwa Fliesenleger und die anderen oben genannten)
- in Anlage B2 sind „handwerksähnlichen Berufe“ aufgelistet, ebenfalls ohne Meisterpflicht, darunter Bautentrockung, Rohr- und Kanalreinigung, Einbau von Baufertigteilen und Bodenleger.
Seit einiger Zeit werden jedoch Stimmen lauter, die eine Wiedereinführung der Meisterpflicht fordern.
Hauptkritikpunkte: Weniger Ausbildung, Qualitätseinbußen, Marktverzerrung
Die Hauptkritikpunkte an der Liberalisierung:
- Die Ausbildung lohnt sich für die Handwerksbetriebe nicht mehr, wenn Azubis direkt nach Ende der Ausbildung selbst gründen und dem Ausbildungsbetrieb Konkurrenz machen können. Statt selbst ausgebildeter Gesellen kommen so häufig angelernte Hilfskräfte zum Einsatz.
- Oft sind es Solo-Selbstständige, die in den zulassungsfreien Handwerksberufen dazugekommen sind. Sie sind selten Meister und können (und wollen) nicht ausbilden. (Der Mindestbeitrag zur Berufsbildung an SOKA-Bau oder andere Sozialkassen ist für sie auch weggefallen.)
- Außerdem wird häufig angeführt, dass die Qualität der Arbeit sich insgesamt verschlechtert und die Zahl der Beanstandungen zugenommen habe.
- Schließlich fallen die Solo-Selbstständigen häufig unter die Kleinunternehmerregelung. Ihre Rechnungen ohne Umsatzsteuer führten zu Wettbewerbsverzerrungen, klagen die etablierten Handwerksbetriebe.
Kommt der Meisterzwang jetzt wieder zurück?
Besonders vernehmlich im Streit um die Wiedereinführung sind die Handwerksvertreter selbst, etwa der Zentralverband des Handwerks (ZDH). Ihr Engagement blieb nicht ohne Resonanz: Schon im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung vom März 2018 steht die Forderung, die Wiedereinführung der Meisterpflicht für einzelne Gewerke zu prüfen.
Im Februar 2019 sprach sich nun der Bundesrat als Vertretung der Bundesländer dafür aus, „die Wiedereinführung des verpflichtenden Meisterbriefes für einzelne zulassungsfreie Handwerke einzuleiten“.
Rückkehr zur Meisterpflicht: Initiative ohne konkrete Details
Konkret sind die Reformpläne bislang nicht den Meisterzwang wieder einzuführen. Die Entschließung des Bundesrats sagt nicht einmal, welche Berufe erneut zulassungspflichtig werden sollen und was aus den betroffenen Betrieben wird, die keinen Meister vorweisen können.
Außerdem müsste eine entsprechende Gesetzesinitiative von der Bundesregierung kommen. Diese müsste dann konkrete Regelungen zur Änderung der Handwerksordnung enthalten. Damit wäre klar, welche Berufe betroffen sind und was für bestehende Betriebe gilt.
Einen solchen Gesetzesvorschlag gibt es bislang noch nicht. Außerdem müsste er ohnehin erst noch vom Bundestag beschlossen werden und davor durch dessen Ausschüsse.
Gutachten: Vertrauensschutz ja, voller Bestandsschutz nein
Trotzdem: Was wird aus bestehenden Handwerksbetrieben ohne Meister, wenn der entsprechende Handwerkszweig wieder zur Meisterpflicht zurückkehrt? Diese Frage beschäftigt mögliche Betroffene bereits jetzt, etwa selbstständige Fliesenleger ohne Meistertitel. Müssen diese Handwerker um ihre berufliche Zukunft bangen?
Mögliche Antworten gibt ein Gutachten, das Prof. Dr. Martin Burgi, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der LMU München, im Auftrag des ZDH erstellt hat. Er hält die Wiedereinführung der Meisterpflicht für zulässig und sieht weder verfassungsrechtliche noch unionsrechtliche Gründe, die zwingend dagegen sprechen.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Betroffenen Vertrauensschutz genießen. Schließlich haben sie nach der Liberalisierung darauf vertraut, ihrem Handwerk dauerhaft nachgehen zu dürfen. Andererseits dürfen die Betroffenen keinen dauerhaften Bestandsschutz für ihre selbstständige Tätigkeit erwarten. Sie müssen darauf eingestellt sein, dass die Situation sich ändern kann, auch wenn eine Neuregelung nicht übergangslos erfolgen darf.
Eine mögliche Lösung
Prof. Burgi zeigt im Gutachten eine mögliche Lösung: Wer bis zum Inkrafttreten der erneuten Meisterpflicht das Recht hatte, sein Handwerk ohne Meisterbrief selbstständig zu betreiben, der behält diese Berechtigung. Wer nach der Neuregelung anfängt, für den gilt dagegen der Meisterzwang. (Eine ähnliche Regelung enthält die Handwerksordnung mit § 119 HwO bereits jetzt, nachdem im Jahr 1998 die Liste der meisterpflichtigen Berufe schon einmal geändert worden war.)
Fazit: Man sollte das Thema im Auge behalten
Mit anderen Worten: Bislang ist in Sachen Rückkehr der Meisterpflicht noch alles offen. Trotzdem gibt es gute Gründe für betroffene selbstständige Handwerker, diesem Thema Aufmerksamkeit zu schenken. Der Bundesratsentschluss zeigt, dass dieses Anliegen politisch durchaus Potenzial hat. Die Stimme des Handwerks hat in Deutschland Gewicht.
Inhaber eines zulassungsfreien Handwerksbetriebs sollten in ihrer Zukunftsplanung daran denken.
- Wer ohnehin daran gedacht hat, freiwillig den Meister zu machen, hat nun einen Grund mehr. Schließlich kann man auch in zulassungsfreien Handwerken die Meisterprüfung ablegen. Das dürfte attraktiver werden.
- Wer als Inhaber eines zulassungsfreien Handwerksbetriebs den Betrieb später verkaufen oder an einen Nachfolger übergeben möchte, muss für den Fall einer Wiedereinführung des Meisterzwangs mit zusätzlichen Hürden rechnen. Der neue Inhaber muss dann entweder selbst Meister sein oder einen Meister einstellen.
Das in diesem Beitrag verwendete Foto “Haus des Handwerks” stammt von pixabay © AnnaER. Herzlichen Dank!