BGH zur Betriebsschließung – Versicherer muss für zweiten Corona-Lockdown zahlen
Der Bundesgerichtshof klärt, wann eine Versicherung bei Betriebsschließung wegen Corona-Lockdowns zahlen muss
Schon seit dem ersten Jahr der Corona-Pandemie streiten Versicherungsgesellschaften und versicherte Unternehmen vor Gericht darüber, ob Umsatzausfälle und Gewinneinbußen aufgrund von Pandemie-Lockdowns von der Betriebsschließungsversicherung gedeckt sind.
Diese Art Versicherung ist speziell für Unternehmen wie Lebensmittelhersteller, Lebensmittelhändler, Gastronomie- und Hotellerie-Betriebe konzipiert. Sie soll Schutz für den Fall bieten, dass der Betrieb aufgrund hochinfektiöser Krankheiten und Erreger schließen oder den Geschäftsbetrieb einschränken muss.
Versicherung zur Betriebsschließung mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz
Die Betreiberin eines Hotels im niedersächsischen Hameln hatte bei einer großen deutschen Versicherungsgesellschaft eine solche Betriebsschließungsversicherung mit einer Versicherungssumme von 100.000 Euro abgeschlossen.
- Versichert waren damit sowohl die behördliche Schließung des Betriebs als auch Tätigkeitsverbote gegen Mitarbeiter aufgrund meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger.
- Den Versicherungsbedingungen zufolge hatte das Unternehmen in diesem Fall Anspruch auf Ersatz seines Schließungsschadens, das heißt des entgangenen Gewinns und der laufenden Kosten.
- Zur Eingrenzung der Krankheiten, deren Auftreten versichert war, verwiesen die Versicherungsbedingungen auf die Paragrafen 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes. Dort werden meldepflichtige Krankheiten beziehungsweise meldepflichtige Erreger aufgezählt.
Zwei Corona-Lockdowns im Jahr 2020, die Versicherung lehnt die Leistung ab
Als es im Jahr 2022 zur Corona-Pandemie und den entsprechenden Gegenmaßnahmen, u.a. Betriebsschließung, kam, musste das Hotel ein erstes Mal von März bis Mai 2020 einen Großteil des Betriebs einstellen. Der Landkreis untersagte touristische Übernachtungen, im Hotel übernachteten kaum Geschäftsreisende. Nach dem erneuten Wiederanstieg der Infektionszahlen im Herbst kam es ab November 2020 erneut zum Lockdown. Diese Maßnahmen zogen sich bis zum Mai 2021.
Die massiven Umsatzausfälle aufgrund der Lockdown-Phasen wollte die Hotelbetreiberin von ihrer Versicherung ersetzt haben. Schließlich trat am 23. 05. 2020 eine um COVID-19 erweitert gesetzliche Liste meldepflichtiger Krankheit in Kraft. Bereits am 25. März des gleichen Jahres hatte der Bundestag aufgrund von Corona eine „pandemische Lage von nationaler Tragweite“ ausgerufen, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Versicherung lehnte die Zahlung jedoch ab. Nach ihrer Ansicht waren nur die Krankheiten und Erreger versichert, die bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrags Bestandteil der §§ 6 und 7 IfSG waren. Das später aufgenommene Corona-Virus fiel nach Ansicht des Versicherers nicht unter die Deckung.
BGH: Unklar formulierte Versicherungsbedingungen gehen zu Lasten der Versicherung
Die Hotelinhaberin klagte zunächst vor dem Landgericht Hannover. Gegen dessen Entscheidung legte die Versicherungsgesellschaft Berufung vor dem Oberlandesgericht Celle ein. Schließlich kam es zur Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof. Alle drei Instanzen vertraten grundsätzlich eine gemeinsame Linie: Sie sprachen der Inhaberin Versicherungsleistungen für den zweiten Lockdown zu, nicht aber für die erste Schließung.
Grund ist die dynamische Verweisung in den Versicherungsbedingungen auf die im IfSG erwähnten, meldepflichtigen Krankheiten. Versichert sind dadurch entgegen der Ansicht des Versicherers nicht nur die bei Vertragsabschluss gelisteten Krankheiten. Ausschlaggebend ist vielmehr, welche Krankheiten der Paragraf zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls umfasst. Die uneindeutige Formulierung der Versicherungsbedingungen wurde zum Nachteil der Versicherung ausgelegt. Dies begründete der BGH mit AGB-Recht: „Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders“ (§ 305c Abs. 2 BGB).
Da COVID-19 erst ganz am Ende der ersten Hotel-Schließung ins Gesetz aufgenommen wurde, war der erste Lockdown nicht versichert. Für den zweiten Lockdown ab November 2020 hat das Hotel jedoch Anspruch auf Ersatz seines Schadens durch die Betriebsschließung.
Fazit: Betriebsschließungsversicherung prüfen
Längst nicht jede Versicherung zu einer Betriebsschließung (Betriebsschließungsversicherung) definiert die in der Deckung enthaltenen Krankheiten und Erreger wie geschildert mit einem dynamischen Verweis auf das Infektionsschutzgesetz. Oft enthält der Versicherungsvertrag nur eine feste Liste. Dann bestehen keine Ansprüche, da COVID-19 kaum enthalten sein dürfte. Bei neuen Policen schließen die Versicherer nun Pandemie- und Epidemie-Ereignisse ohnehin von vornherein aus.
Wenn Ihr Betrieb jedoch eine dynamisch gestaltete Betriebsschließungsversicherung besitzt und durch die Lockdowns der Jahre 2020 und 2021 Ausfälle erlitten hat, können Sie auf Grundlage der BGH-Entscheidung grundsätzlich Forderungen gegen Ihren Versicherer durchsetzen.
Rechtsanwalt Dr. Peter Meides ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Fachanwalt für Steuerrecht. Er setzt seit vielen Jahren für Unternehmen und Unternehmern zivilrechtliche Ansprüche durch.
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