SOKA-Bau, das SokaSiG und die Politik
Wenn ein Bauunternehmen schlampig arbeitet, bekommt es Ärger: verweigerte Abnahme, keine Bezahlung, Nachbesserungs- oder Schadenersatzforderungen. Wenn dagegen ein Ministerium pfuscht, ist das manchmal keine große Sache. Dann wird zur Reparatur mal eben ein Gesetz -das SokaSiG- durch den Bundestag gejagt. Schließlich sind dort die Mehrheiten sicher.
Das jedenfalls ist der Eindruck, den man vom frisch verabschiedeten Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG) gewinnen muss. Fangen wir von vorn an:
1. Die SOKA-Bau
- Seit Jahr und Tag zahlen Bauunternehmen zusätzliche Sozialkassenbeiträge für ihre Arbeitnehmer – und das nicht zu knapp. Im Westen sind es rund 20 %, im Osten um die 17 % des Bruttolohns. In Berlin sogar noch darüber. Diese Beiträge gehen an die Sozialkassen Bau (oder SOKA-Bau).
- Selbst Solo-Selbstständige ohne gewerbliche Arbeitnehmer (!) sollen mindestens 900 Euro zahlen.
- Diese zusätzlichen Beiträge zahlt allein der Arbeitgeber. Sie beruhen auf keinem Gesetz, sondern auf einem – von den Tarifvertragsparteien vereinbarten – Tarifvertrag.
- Trotzdem müssen alle Unternehmen zahlen, auch solche, die keine Tarifbindung haben. Denn die Tarifverträge zur SOKA-Bau werden seit jeher vom Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt – und gelten damit für alle überwiegend baugewerblich tätigen Betriebe. Diese Erklärungen heißen unter Juristen „Allgemeinverbindlicherklärungen“ (oder AVE).
2. Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
Genau dabei wurde jedoch geschlampt. Gutachter für die verpfuschten Allgemeinverbindlicherklärungen waren gewissermaßen die obersten deutschen Arbeitsrichter.
Fehler 1: Als diese Erklärungen zustande kamen, galt noch die Voraussetzung, dass mindestens die Hälfte aller von der AVE betroffenen Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sein mussten (der Fachbegriff lautet „Quorum“. Dazu legten die Tarifvertragsparteien dem Ministerium Zahlen vor, die dieses nicht groß hinterfragte. Das Bundesarbeitsgericht vertraute diesem Zahlenwerk nicht.
Fehler 2: Der zuständige Minister beziehungsweise die zuständige Ministerin befasste sich nicht selbst mit der AVE. Das war aber den Richtern zufolge notwendig, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten.
Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) zu bestimmten Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren (VTV 2006 bis VTV 2014) für rechtswidrig und damit unwirksam (BAG, 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15, mehr zu Unwirksamkeit VTV 2008-2011, VTV 2014 und BAG, 25. Januar 2017 – 10 ABR 43/15 und 10 ABR 34/15, mehr zu Unwirksamkeit VTV 2012, VTV 2013). Das hat das BAG in aller Deutlichkeit festgestellt.
3. Ein Gesetz zur Schnellreparatur
Diese Entscheidungen waren für die SOKA-Bau ein echter Schlag ins Kontor. Vielen Beitragsforderungen für die besagten Zeiträume fehlte damit die Grundlage. Rückzahlungsansprüche von Unternehmen standen im Raum. Erste Beobachter sprachen von möglicher Zahlungsunfähigkeit der Sozialkassen-Bau.
Doch die Politik reagierte. Nach den ersten Entscheidungen am 21. September 2016 wurde ein eigenes „Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe“, kurz SokaSiG, im Bundestag eingebracht und bereits am 26. Januar 2017 verabschiedet. Es passierte am 10. Februar 2017 den Bundesrat. Bemerkenswert schnell ging das: Es drängt sich der Eindruck auf, die Beteiligten waren parteiübergreifend bemüht, die Sache so rasch und geräuschlos wie möglich über die Bühne zu bringen.
Beginnend mit dem Januar 2006 bis einschließlich 2016 wurden die Tarifverträge kraft Gesetzes für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet. Das Gesetz lässt sich im Prinzip auf den kurzen Nenner bringen: „Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts haben nichts zu besagen. Die Ansprüche der Sozialkassen sind sicher.“
4. Das vermaledeite Rückwirkungsverbot
Ein starkes Stück. Das SokaSiG dient im Ergebnis vor allem dazu, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu korrigieren und den jahrelangen, schlampigen Umgang mit den AVE im zuständigen Ministerium auszubügeln.
Doch gibt es da ein Problem. Grundsätzlich dürfen Gesetze nicht rückwirkend gelten. Das ergibt sich aus dem Grundgesetz. Genau dies ist bei dem SokaSiG nach Ansicht vieler Rechtswissenschaftler jedoch der Fall.
Die betroffenen Betriebe hatten das Recht, auf die Entscheidungen des Bundesarbeitsgericht zu vertrauen. Der Versuch, die Fehler des zuständigen Ministeriums nun auf dem Gesetzgebungsweg zu reparieren, wird die Gerichte beschäftigen, sobald sich die SOKA-Bau auf dieses Gesetz beruft. Am Ende voraussichtlich sogar das Bundesverfassungsgericht. Mal sehen, was man dort dazu meint.
Das in diesem Beitrag verwendete Foto „Reichstagsgebäude, Plenarsaal“ stammt von Digitaler Bilderdienst / Bildarchiv (c) Deutscher Bundestag / Achim Melde. Herzlichen Dank!