BAG 21.09.2016 zum Sozialkassenverfahren: Allgemeinverbindlichkeit ist unwirksam
Das Bundesarbeitsgericht hat das Unerwartete getan: Der 10. Senat hat die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren für unwirksam erklärt. Bislang geht es um Allgemeinverbindlicherklärungen von 2008, 2010 und 2014.
Allgemeinverbindlichkeit ist unwirksam
Lange Zeit galt: Ein jedes Unternehmen mit baugewerblicher Tätigkeit muss Beiträge zur SOKA-BAU bezahlen. Die Tarifparteien im Baugewerbe schlossen einen Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren ab, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erklärte ihn für allgemeinverbindlich, und damit waren auch nicht tarifgebundene Bau-Arbeitgeber in der Beitragspflicht.
Nun hat das Bundesarbeitsgericht jedoch mit zwei Entscheidungen die Allgemeinverbindlicherklärung des Sozialkassenverfahrens für drei zurückliegende Zeitabschnitte gekippt (BAG, 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15).
Die Entscheidungen, die am 21. September 2016 ergingen, beziehen sich zwar vorerst nur auf die Beitrags-Zeiträume:
- Oktober 2007 bis Dezember 2009
- Januar 2010 bis Dezember 2011
- Januar bis Dezember 2014
Weitere Verfahren mit gleicher Stoßrichtung sind jedoch bereits anhängig, insbesondere für die Jahre 2012, 2013 und 2015. Und auch für weitere Tarifverträge des Bauwesens, die für allgemeinverbindlich erklärt wurden, könnte es bald heißen: die Allgemeinverbindlichkeit ist unwirksam.
Entscheidungsgründe: Fehlende Ministerbefassung, mangelhaftes Zahlenmaterial
Zwei Gesichtspunkte waren für die Richter ausschlaggebend:
- Zum einen stuften sie die Allgemeinverbindlicherklärungen als sogenannte Normsetzung ein. Dazu muss sich jedoch der zuständige Minister höchstpersönlich mit der Sache befassen, das hatten seinerzeit weder Olaf Scholz noch Ursula von der Leyen getan.
- Außerdem hat sich das BAG sehr genau mit dem früher geltenden so genannten Quorum (§ 5 Absatz 1 TVG a.F.) auseinandergesetzt. Für die Allgemeinverbindlicherklärung hätten mindesten 50 Prozent der Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sein müssen. Zwar hatte die SOKA BAU dazu Zahlen vorgelegt, die das BMAS übernahm. Dem Gericht waren Erhebung und Zuordnung dieser Werte aber viel zu ungenau.
Und nun?
Vieles muss man noch abwarten. Aber eines ist klar: Die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit ist unwirksam und das hat, wie es das BAG selbst ausdrückt, „zur Folge, dass im maßgeblichen Zeitraum nur für tarifgebundene Arbeitgeber eine Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes bestand. Andere Arbeitgeber der Baubranche sind nicht verpflichtet, für diesen Zeitraum Beiträge zu leisten.“
- Nachforderungen der SOKA BAU für die genannten Zeiträume fehlt nun die Rechtsgrundlage. Ob Unternehmen jedoch bereits bezahlte Beiträge zurückfordern können, ist unklar und hängt vom Einzelfall und einer ganzen Reihe materiell- und prozessrechtlicher Fragen ab.
- Die Begründung des BAG lässt sich auf weitere für allgemeinverbindlich erklärte Tarifbeschlüsse anwenden. Vielleicht stehen auch der Bundesrahmentarifvertrag Baugewerbe und der Mindestlohntarifvertrag schon bald auf dem Prüfstein.
- Die Entscheidung bedeutet dagegen ausdrücklich nicht, dass für Bauunternehmen ohne Tarifbindung die Beiträge an die SOKA BAU nun Geschichte sind. Das BMAS wird in Zukunft allerdings sorgfältiger arbeiten müssen.
Haben Sie Fragen – oder selbst Ärger mit der SOKA-BAU?
Die Beratung und Vertretung von Unternehmen bei Streitigkeiten mit den Sozialkassen des Baugewerbes ist einer der Hauptschwerpunkte meiner Tätigkeit als Fach- und Wirtschaftsanwalt.
Wenn Sie Fragen dazu haben, was aus den Entscheidungen des BAG für Ihr Unternehmen folgt, dann rufen Sie mich doch einfach an: 069 95929790.
Das in diesem Beitrag verwendete Foto „Gericht“ stammt von vanna44 @pixabay.com. Herzlichen Dank!