Betriebsübergang bei Übertragung der Kassenzulassung von einem Arzt auf einen anderen?
Wenn ein Arzt seinen Beruf aufgibt z.B. aus Altersgründen und die Praxis samt Kassenzulassung auf einen anderen Arzt übergeht, fragt sich was dann aus dem Praxispersonal wird. Bleibt der Arbeitsplatz erhalten? Liegt ein Betriebsübergang vor? Die Antwort ist schwieriger als man denkt. Das Bundesarbeitsgericht hatte über einen solchen Fall im Jahr 2011 zu entscheiden.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht und sich ausführlich mit dem Thema beschäftigt.
Im Einzelnen führte das Gericht aus:
Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Der Begriff „wirtschaftliche Einheit“ bezieht sich auf eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit unter Wahrung ihrer Identität übergegangen ist, sind sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen.
Zu diesen zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebs, der Übergang materieller Betriebsmittel sowie deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft, der Übergang von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen sowie die Dauer der evtl. Unterbrechung der Betriebstätigkeit.
Der Betriebsübergang tritt mit dem Wechsel in der Person des Betriebsinhabers ein, also mit dem Wechsel der Person, die für den Betrieb der übertragenen Einheit als Inhaber verantwortlich ist. Verantwortlich ist die Person, die den Betrieb im eigenen Namen führt und nach außen als Betriebsinhaber auftritt. Einer besonderen Übertragung einer irgendwie gearteten Leitungsmacht bedarf es wegen des Merkmals der Fortführung des Betriebs nicht. Der bisherige Inhaber muss seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb oder Betriebsteil einstellen (vgl. BAG 30. Oktober 2008 – 8 AZR 397/07 – AP BGB § 613a Nr. 358 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 103).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat kein Betriebsübergang stattgefunden. Die von der Beklagten zu 1. allein betriebene Arztpraxis stellte eine wirtschaftliche Einheit dar. Deren Zweck war darauf gerichtet, für Patienten medizinische Dienstleistungen zu erbringen. Um diese ärztlichen Tätigkeiten zu erledigen, bedurfte die Beklagte zu 1. einer Organisation, welche diesem Betriebszweck diente. Erforderlich waren dazu Mitarbeiter, wie die Klägerin, welche nachgeordnete Personaldienstleistungen, wie Empfangs- und Telefondienst, Schreibarbeiten und die Beklagte zu 1. unterstützende medizinisch-technische Tätigkeiten verrichteten. Weiter gehörten dazu Betriebsmittel (zB Büro-, Wartezimmereinrichtung, Patientenkartei, medizinische Untersuchungs- und Behandlungsgeräte sowie vor allem Praxisräume).
Trotz dieser materiellen Betriebsmittel, ohne die eine Arztpraxis nicht betrieben werden kann, steht die Patientenbetreuung durch den Arzt und die nichtärztlichen Praxismitarbeiter im Mittelpunkt der betrieblichen Tätigkeit. So ist die gesamte Organisation einer von einem Arzt allein betriebenen Praxis auf die Person des Arztes zugeschnitten, insbesondere auf dessen individuelle ärztliche Arbeitsweise. Hinzu kommt, dass Patienten eine Arztpraxis häufig deshalb aufsuchen, weil sie dem dort tätigen Arzt besonderes Vertrauen entgegenbringen oder dessen Sachkunde oder Fähigkeiten schätzen und weil sie sich von ihm und seinen Mitarbeitern gut betreut fühlen.
Damit wird die Arbeit einer Arztpraxis in der Regel durch die dort tätigen Personen, nicht durch die vorhandenen Betriebsmittel geprägt. Ausnahmen von diesem Grundsatz können dann vorliegen, wenn eine Arztpraxis vor allem durch die vorhandenen medizinischen Geräte und weniger durch die dort tätigen Ärzte geprägt ist und die Praxis vor allem wegen der medizinischen Untersuchungs- bzw. Behandlungsgerätschaften aufgesucht wird (zB radiologische oder nuklearmedizinische Praxen). Eine solche Ausnahme ist im Streitfalle jedoch nicht gegeben, weil die Beklagte eine allgemeininternistische Praxis betrieben hatte.
Zur Erreichung des Betriebszweckes der Arztpraxis kam es deshalb im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an. Die materiellen und immateriellen Betriebsmittel spielten nur eine untergeordnete Rolle. Es handelte sich demnach um einen betriebsmittelarmen Betrieb, bei dem es auf ein „eingespieltes Mitarbeiterteam“ und die Fachkenntnisse dieser Mitarbeiter ankommt. Ein solcher Betrieb kann zwangsläufig unter Aufrechterhaltung seiner Identität nur dann von einem Betriebserwerber fortgeführt werden, wenn dieses Mitarbeiterteam übernommen wird, weil dieses beim betriebsmittelarmen Betrieb identitätsbildend ist (vgl. BAG 22. Juli 2004 – 8 AZR 350/03 – BAGE 111, 283 = AP BGB § 613a Nr. 274 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 27). An einer solchen Übernahme des Praxispersonals durch die Beklagten zu 2. und 3. fehlt es.
Eine von obigen Grundsätzen abweichende Beurteilung ist auch nicht aus anderen Gründen geboten. So hat das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO) festgestellt, dass weder die Patientenkartei noch sonstiges Praxisinventar oder die Praxisräume übernommen worden sind.
Letztlich dienten die zwischen den Beklagten getroffenen Vereinbarungen nur dem „Verkauf der kassenärztlichen Zulassung“, der als solcher nach § 103 Abs. 4 SGB V rechtlich nicht möglich ist, weil nur die Arztpraxis als solche Gegenstand des Privatrechtsverkehrs ist und durch Rechtsgeschäft übertragen werden kann (vgl. BSG 29. September 1999 – B 6 KA 1/99 – BSGE 85, 1).
Urteil des BAG vom 22.06.2011, Az: 8 AZR 107/10